BR 199
(FW)
Anfang der 80er Jahre hatte die Ölkrise auch die DDR in Form einer allgemeinen
Energiekrise erreicht. Verstärkt musste nunmehr auf Braunkohle ausgewichen
werden, da nur sie als fossiler Brennstoff in ausreichender Menge vorhanden war.
Nach Möglichkeit wurde alle Transporte über 50 km Entfernung auf die Schiene
verlagert. Das Braunkohlekraftwerk Silberhütte im Harz hatte zwar Anschluss an
die Selketalbahn, es konnten jedoch auf Grund des Lichtraumprofils keine
Normalspurgüterwagen auf Rollwagen eingesetzt werden. Dies führte zum Beschluss,
die 1946 im Zuge der Reparation für die UdSSR abgebaute Verbindung zwischen
Strassberg und Stiege, und damit die Verbindung zur Harzquerbahn, wieder
herzustellen. Seit Juni 1984 fuhr nunmehr täglich ein Kohlenzug, bespannt mit 2
Dampflokomotiven der BR99, von Nordhausen über Stiege nach Silberhütte. Dies war
dann auch für DDR-Verhältnisse reichlich unwirtschaftlich. Eine Diesellok musste
her, zumal die Neubaudampfloks von LKM mittlerweile auf die 30 zugingen und
früher oder später ersetzt werden mussten. In der DDR war der einzige Hersteller
im Lokomotivbau, LEW, nicht in der Lage eine Schmalspurdiesellok zu bauen, da er
auf Jahre hinaus mit dem Bau von Elloks für die DR ausgelastet war.
Offensichtlich gab es im RGW auch keine Möglichkeiten einer Beschaffung von
hinreichend leistungsfähigen Maschinen und ein Export aus dem Westen schied
schon von vornherein aus Mangel an Devisen aus. Das Problem wurde auf eine Art
und Weise gelöst, die man als „typisch DDR“ bezeichnen könnte. Die bei der DR in
mehreren hundert Exemplaren vorhandene V100 (ab 1970: 110) wurde in eine
Schmalspurdiesellok umgebaut. Die Vorarbeiten, deren genauer Beginn sich bislang
nicht datieren lässt, übernahmen das Wissenschaftlich-Technische Zentrum der DR
(WTZ), das Raw Stendal, die Hauptverwaltung der Maschinenwirtschaft und die Rbd
Magdeburg. Nach mehreren Verzögerungen wurden zum Jahreswechsel 1988/89 2
Baumusterlokomotiven in Dienst gestellt und einer einjährigen Erprobung
unterzogen.
Im Wesentlichen waren für einen Umbau
folgende Forderungen erhoben worden:
1. Konstruktion und Bau von 3-achsigen
Drehgestellen für eine Spurweite von 1000mm, um eine maximale Achsfahrmasse von
10t zu gewährleisten
2. Ausrüstung der Lok mit den im Harzer Netz gebräuchlichen Zug- und
Stoßvorrichtungen, bei gleichzeitig möglichst wenigen Änderungen am Lokkasten
3. v/max 50 km/h und Befahrbarkeit von 50m-Gleisradien
4. weitgehende Verwendung von in der DDR hergestellten Bauteilen
Naturgemäß war das wichtigste Bauteil
das neue Drehgestell, welches vom WTZ entwickelt wurde. Der in
Schweißkonstruktion vom Raw Stendal hergestellte O-förmige (!)
Drehgestellrahmen, ging zunächst zur maschinellen Bearbeitung ins Raw Meiningen.
Anschließend erfolgte die Komplettierung (Bremsanlage, Radsätze usw.) wiederum
im Raw Stendal. Die Radsätze haben neu einen Durchmesser von 850mm. Die jeweils
mittleren Radsätze waren bei den Baumustern spurkranzlos ausgeführt. Es zeigte
sich jedoch, dass ein geschwächter Spurkranz dieser Radsätze im Betrieb
vorteilhafter war, und so wurden die Serienmaschinen entsprechend ausgerüstet.
Der Drehzapfenlagerquerträger, des Enden seitlich über den Drehgestellrahmen
hinausragen und somit deutlich sichtbar ist, wurde aufgrund des Platzbedarfs der
mittleren Achse oberhalb des Drehgestellrahmens angeordnet. Dadurch ergibt sich
gegenüber der BR110 eine größere Bauhöhe des Drehgestells und somit auch des
gesamten Tfz! Angetrieben werden alle 3 Achsen im Drehgestell über entsprechend
angepasste Achsgetriebe AüK18. Die Rollenachslager stammen von einem bewährtem
Güterwagendrehgestell. Wegen der räumlichen Enge mussten bei der Bremsanlage
besondere Lösungen gefunden werden. Die jeweils äußeren Räder werden einseitig
abgebremst. Der mittlere Radsatz wird nur über die Gelenkwellen des
Achsgetriebes indirekt mitgebremst. Die Handbremse wirkt nur auf den Radsatz 1.
Spurkranzschmierung und Sandstreuer wirken auf die Radsätze 1, 3, 4 und 6. Bei
der Erprobung zeigte sich, dass die Lokomotiven den Erfordernissen im
Wesentlichen entsprachen. Die gewonnenen Erfahrungen führten zu kleineren
Änderungen beim Serienumbau. Z.B. beim Radprofil, bei der Zug- und
Stoßvorrichtung und beim kombinierten Schnee- und Bahnräumer. Die erste
Baumusterlok (199 863)
wurde ohne Hauptluftbehälterleitung (HBL) ausgeliefert. Das erwies sich sofort
als ungünstig, so dass bereits das 2. Baumuster (199
871) eine HBL erhielt. Beide Lokomotiven unterschieden sich auch in der
Bremsbauart, da die Frage geklärt werden sollte, ob einer ein- oder einer
mehrlösigen Bremse der Vorzug zu geben ist. Es zeigte sich, dass die mehrlösige
Bremse der 199 871
(KE 1-c) vorteilhafter war, die nunmehr alle weiteren Exemplare erhielten. Als
Führerbremsventil kam der Typ Knorr D2 zum Zuge. Wie gefordert, mussten am
Lokkasten nur kleinere Änderungen vorgenommen werden. So wurde beispielsweise
der Kupplungsträger durch ein Kopfstück zur Aufnahme für Hauptluft- und
Heizleitung ersetzt. Dies wurde möglich, da sich die Zug- und Stoßvorrichtung
wie bei Schmalspurbahnen üblich und oben beschrieben wurde, am Drehgestell
befindet. Die elektrische Ausrüstung entsprach weitgehend der
Originalausführung. Zusätzlich wurden an den Kanten 4 Steckdosen angebaut, da
geplant war, perspektivisch die Wagenzüge mit 110 V= für die Zugbeleuchtung zu
speisen. Ausgerüstet wurden die Loks mit Doppeltraktion, Sifa mit verkürzter
Ansprechzeit und Zugfunk. Der Umbau zur Schmalspurlok erfolgte im Rahmen einer
planmäßigen Instandhaltungsstufe V 7 im Raw Stendal, bei der die zusätzlichen
Umrüstarbeiten mittels einer V 0 abgerechnet wurden. Eingebaut wurde dabei der
bewährte Motor 12 KVD 18/21 AL-4 mit 883 kW Leistung, wie er auch bei der BR 112
zum Einsatz kam. Als Strömungsgetriebe fand das GSR 30/5.7 mit verändertem
Übersetzungsverhältnis aufgrund der geringeren Geschwindigkeit Verwendung. Aus
Gründen der Einheitlichkeit behielten die Umbauloks ihre Ordnungsnummern,
lediglich die neue Baureihennummer 199 und die EDV-Kontrollziffer waren zu
ändern.
Als erste Maschine wurde am 20.11.1988
die ex 110 863 als
199 863
fertiggestellt und anschließend ins Bw Wernigerode-Westerntor überführt. Diese,
wie auch alle späteren Überführungen von und nach Stendal, fanden auf
modifizierten Drehgestellen der BR 110 statt, an denen sämtliche Anbauteile
außer der Bremsanlage fehlen. Die im Schmalspurbereich verwendeten Kopfstücke
(siehe oben) wurden gegen herkömmliche Kupplungsträger ausgetauscht. Das
Überführen geschah ohne eigenen Antrieb. Am 24.11.1988 schließlich erfolgten der
erste Umspurvorgang auf 1000mm und erste Rollversuche. Daran schlossen sich
umfangreiche Test- und Messfahrten an, die bis zum September 1989 andauerten.
Zunächst erfolgten Profilfahrten, um die Befahrbarkeit in dieser Hinsicht
nachzuweisen. In der Vorlage heißt es, dass auf der Brockenstrecke die
Profilfahrt erst im Mai 1989 nachgeholt werden konnte. Es ist allerdings unklar,
ob man tatsächlich bis zum Gipfel gefahren ist. Am 05.12.1988 erfolgte
schließlich ein Aufgleisversuch, bei dem keine Schwierigkeiten auftraten. Das 2.
Baumuster 199 871
wurde am 30.12.1988 in Stendal abgenommen und ebenfalls in das Testprogramm
einbezogen. Dabei zeigte sich, dass die neue BR199.8 im Wesentlichen allen
Anforderungen entsprach; ihr wurde eine zufriedenstellende Laufgüte bescheinigt.
Schnell hatten die Loks auch ihren Spitznamen „Harzkamel“ weg. Schaukelt die
V100 im Normalspurbereich bereits nicht wenig, so verstärkt sich dieser Effekt
aufgrund der schmaleren Spur und der 10 cm höheren Lage noch. Der Lokführer
kommt sich also wirklich vor, als säße er auf einem Kamel. Trotzdem wird den
Lokomotiven bereits 1990 eine hohe Beliebtheit beim Personal bescheinigt.
Festgelegt wurde weiterhin bereits damals, dass die Instandhaltung von Lokkasten
und Drehgestellen im Raw voneinander getrennt ausgeführt werden sollte. Der
Spurkranzverschleiß ist naturgemäß recht hoch, und eine Umrissbearbeitung war
nur im Raw Stendal möglich. Es wurde daher vorgesehen, nach jeweils ca. 45.000
km (etwa 1x jährlich) die Drehgestelle mittels eines speziellen Transportwagens
ins Raw Stendal zu transportieren und dort zu überdrehen. Um die betroffenen
Lokomotiven nicht allzu lange dem Betrieb zu entziehen sollten 3 Paar
Ersatzdrehgestelle beschafft werden. Ob diese Technologie letztendlich zum Zuge
kam ist nicht bekannt. In der ursprünglichen Konzeption war vorgesehen, 30
Lokomotiven auf eine Spurweite von 1000 mm umzurüsten. In einer Aufstellung im „Der
Modelleisenbahner“ sind die Loknummern und der Umbauzeitraum benannt.
Demnach sollten von Oktober 1989 bis zum Januar 1992 im Monatsdurchschnitt
jeweils eine Lokomotive ausgeliefert werden. Umgebaut werden sollten
ausschließlich Loks der Nummernreihe
110 861 bis
110 896. Lediglich
2 Loks (110 876 und
110 887) sollten
nicht umgebaut werden, denn bereits in den Jahren zuvor waren die
110 880,
110 893 &
110 894 in die BR
112, und die 110 862 in die BR 114 umgebaut worden.
Unklar ist, was man im Harz mit den 30
Diesellokomotiven wollte, denn so viele zu ersetzende Dampflokomotiven gab es
gar nicht. Zum anderen ging man (nicht nur bei der DR) bekanntlich davon aus,
dass 2 bis 3 Dampflokomotiven für eine Diesellok abgestellt werden können.
Letztendlich, bedingt vor allem durch die politische Wende in der DDR, blieben
die Umbaupläne Makulatur. Als erste Serienmaschine wurde im Januar 1990 die
199 872
ausgeliefert, im Mai folgte
199 861 und von
Oktober bis Dezember schließlich in der Reihenfolge der Auslieferung:
199 879,
199 891,
199 870,
199 874,
199 877.
199 892 beschloss
schließlich die Serie. Auf die ursprünglich an dieser Stelle angegebenen
Revisionsdaten soll verzichtet werden, da sich mittlerweile herausgestellt hat,
dass die Datumsangaben an der Lok, im Betriebsbuch, in der Literatur usw. häufig
um mehrere Tage differieren, ein „wirkliches“ Datum also nicht existiert. Als
Beispiel soll die 199
872 dienen. Das angeschriebene V7 datiert auf den 16.01.1990. Am 05.01.1990
wurde die Maschine aber bereits auf Probefahrt gesehen. Mit 10 Maschinen hatte
die DR ihren Bedarf für den nach der Wende zurückgegangenen Verkehr auf den
Harzer Schmalspurbahnen zunächst gedeckt.
Zwischenzeitlich hatte das Raw Stendal an eigentlich für die Schmalspurvariante
vorgesehenen Lokomotiven bereits normale Hauptuntersuchungen durchgeführt, zum
Teil erfolgte auch ein Umbau zur BR 112. Unsere 10 Lokomotiven kamen zunächst
vor allen zu fahrenden Zügen zum Einsatz. Vor Reisezügen war sie aber immer
seltener anzutreffen, da die Touristen den Einsatz von Dampfloks verlangten.
Nachdem sich der Einsatzbestand bei den 99ern stabilisiert hatte, kamen die
Diesel nur noch aushilfsweise vor den Personenzügen zum Einsatz. Auch der
Güterverkehr wurde immer weniger. Den Kohlenverkehr nach Silberhütte, für den
die Loks ja eigentlich gebaut wurden, gab es längst nicht mehr. Blieben also nur
noch ein paar Arbeitszug- und Rangierdienste.
Fotos
Lokliste